als
erstes möchte ich mich noch mal ganz herzlich bei Dir, Susanne,
bedanken, dass wir die Tage getauscht haben. So hatte ich eine schöne
Weihnachtszeit mit der Familie, vor allem auch für die Kinder, die
ihre Großeltern so selten sehen. Dass ich dann den getauschten Tag
absagen musste, tut mir ganz, ganz schrecklich leid. Es wäre doch
mein letzter Tag bei euch gewesen... Aber mein Sohn war ausgerechnet
am Tag vor unserer Abreise schon ganz schlapp, hatte Kopfschmerzen,
und dann eine schlechte Nacht mit Fieber und wenig Schlaf. Da konnten
wir nicht fahren, sieben Stunden Autofahrt wären einfach zu viel für
ihn gewesen. Am nächsten Tag ging es ihm besser, dafür fing das
gleiche bei meiner Tochter an...
Aber ich
wollte diesen Brief noch aus einem anderen Grund schreiben. Am
liebsten hätte ich es euch einmal persönlich gesagt, aber dafür
hatten wir keine passende Gelegenheit und auch einfach keine Zeit.
Ich hätte euch so gerne erzählt, weshalb ich diese Hilfe zum
Wiedereinstieg ins Berufsleben bekommen habe – und was der
wesentliche Grund ist, weshalb sich meine Zeit bei euch nicht so
positiv entwickelt hat, wie ich es mir erhoffte und gewünscht hatte.
Die
Maßnahme habe ich von der Rentenversicherung bekommen nachdem ich
eine schwere Krankheit überstanden hatte und um zu testen was ich
noch arbeiten kann. Ich hatte Epilepsie und wurde vor zwei Jahren am
Gehirn operiert.
Vor vier
Jahren wurde bei mir festgestellt, dass ich wahrscheinlich schon seit
der Geburt in der linken Gehirnhälfte eine Narbe/Kruste (Läsion)
hatte, die epileptische Anfälle auslöste. Diese Anfälle kannte ich
schon seit meiner Jugend, nur waren sie so klein und unscheinbar,
dass ich sie nicht richtig beschreiben konnte. Ich hatte irgendwie
ein komisches Gefühl. Die Anfälle machten mir nichts aus, ich
verlor das Bewusstsein gar nicht, sondern nur die Konzentration,
wurde abgelenkt, wollte dass es aufhört... Es dauerte nur ein paar
Sekunden/Minuten, schlimmstenfalls hatte ich danach Kopfschmerzen.
Doch vor vier Jahren hatte ich einen etwas stärkeren Anfall, dann
wurde mein Gehirn untersucht und die Narbe gefunden.
Dann
ging die Krankheit erst richtig los. Viele Untersuchungen,
Arzttermine, Krankenhausaufenthalte. Ich habe versucht die Anfälle
mit verschiedenen Tabletten zu stoppen, unterschiedliche Dosierungen,
Kombinationen... Leider ohne Erfolg, zu viele Nebenwirkungen und
immer noch Anfälle... Also musste ein Teil des Gehirns entfernen
werden. Leider nicht nur ein Teil des linken Schläfenlappens,
sondern auch noch der Hippocampus, der für die Gedächtnisfunktionen
zuständig ist – und das hat Konsequenzen. Anfälle habe ich keine
mehr. Aber nur mit dem Hippocampus auf der rechten Seite ist die
Leistung des Gedächtnisses einfach geringer.
Im
Prinzip habe ich Glück gehabt, immerhin habe ich meine Erinnerungen
behalten und komme mit alltäglichen Sachen gut zurecht. Aber am
Anfang hatte ich große Problem mir Details zu merken, konnte nicht
mehr lesen, da ich einfach nicht behalten habe, was da stand. Und ich
geriet ins Chaos, wenn die Dinge nicht wie gewohnt abliefen und je
komplizierter die Abläufe, desto chaotischer wurde es für mich.
Manchmal hatte ich sogar Schwierigkeiten beim Kochen, Schlüssel vergessen...
Außerdem
kam es bei der Operation zu einem Blutgerinsel im Sprachzentrum, das
führte dazu, dass ich erhebliche Sprachproblem hatte (Aphasie). Mir
fehlten oft die Worte und ich konnte mich nicht richtig ausdrücken,
das führte oft zu Missverständnissen (Kindergarten/ Schule, 17
Uhr/7 Uhr, Bushaltestelle/Bahnhof, heute/morgen) und vor allem war es
sehr schwer den Kindern Fragen zu beantworten, Sachen zu erklären...
Im
ersten Jahr habe ich sehr intensiv mit Logopädie, Ergotherapie,
Neuropsychologie und Reha-Aufenthalten ganz viel wieder aufbauen
können. Aber leider nicht alles. Ich habe jetzt einen geringeren
Wortschatz und immer noch leichte Wortfindungsstörungen. Das ist
ok., denn ich kann die Worte, die mir nicht einfallen, umschreiben,
ersetzen, mich anders ausdrücken. Mit meinem Gedächtnis wurde es
auch besser. Ich habe wieder angefangen Bücher zu lesen, kann mir
Inhalte merken, wieder normal kochen und mit Computern umgehen.
Im
zweiten Jahr war ich für den Einstieg ins Berufsleben bereit und
habe die Maßnahme genehmigt bekommen. In den ersten vier Monaten
habe ich Deutsch, Mathe und ganz viel EDV aufgefrischt, durch
intensives Gehirnjogging mein Gedächtnis trainiert und verbessert,
und auch durch psychologische und berufliche Beratung überlegt, wie
ich mir mein Berufsleben vorstellen könnte. In eure Buchhandlung zu
kommen, war mein Traum (schon vor der Operation!) und meine Berater
waren zuversichtlich und haben mir gut zugeredet es zu versuchen.
Schließlich hatte ich mich im ersten Teil der Maßnahme gut
entwickelt. Aber ob ich tatsächlich im wirklichen Berufsleben dazu
fähig bin, konnte man mir nicht vorhersagen... Deshalb das
Praktikum.
Ich fand
der erste Monat bei euch ging ganz gut los. Es hat mir so viel Spaß
gemacht und ich bekam auch manchmal positives Feedback von Kunden,
wenn ich ein schönes Buch empfehlen konnte – das fühlte sich so
gut an. Als Katrin zu mir sagte, ich soll mich für die Stelle bei
Euch bewerben, habe ich mich sehr gefreut, dass sie es mir zugetraut
hat – und ich war auch zuversichtlich, dass ich es schaffen könnte.
Deshalb habe ich den Vertrag für Dezember unterschrieben. Aber mit
der Absage kam der Druck durch das Arbeitsamt, der Rentenversicherung
und auch die steigende Kundenanzahl. Dann kamen Enttäuschung,
Unsicherheit, Probleme... Da bin ich einfach aus der Bahn geraten.
Und dann hat sich leider auch gezeigt, dass ich mich nach drei
Monaten bei euch immer noch nicht gut genug eingearbeitet hatte,
langsam bin, immer noch zu viel Hilfe brauche, Fehler mache...
Das
ist ernüchternd und bitter, da merke ich, dass sich mein Gedächtnis
verschlechtert hat, denn vor der Operation war ich anders!
Es tut
mir unendlich leid, wie meine Zeit bei Euch gelaufen ist. Es tut mir
sehr, sehr leid, dass ich Euch nicht so richtig helfen konnte. Ich
habe mir so große Hoffnungen gemacht, mich einzuarbeiten, eine gute
Kollegin zu werden... Es ist so eine tolle Arbeit in der Buchhandlung
und bei den Kinder- und Jugendbüchern ganz besonders schön. Ihr
seid ein tolles Team! Ich vermisse es jetzt schon!
So,
jetzt habe ich genug gejammert. Aber das wollte ich einfach los
werden, euch sagen wie es bei mir so gekommen ist. Vielleicht könnt
ihr mich jetzt ein bisschen besser verstehen...
Ganz liebe Grüße
Eure Maria M.
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