Tuesday, 6 January 2015

Hallo meine lieben Ex-Kolleginnen,

als erstes möchte ich mich noch mal ganz herzlich bei Dir, Susanne, bedanken, dass wir die Tage getauscht haben. So hatte ich eine schöne Weihnachtszeit mit der Familie, vor allem auch für die Kinder, die ihre Großeltern so selten sehen. Dass ich dann den getauschten Tag absagen musste, tut mir ganz, ganz schrecklich leid. Es wäre doch mein letzter Tag bei euch gewesen... Aber mein Sohn war ausgerechnet am Tag vor unserer Abreise schon ganz schlapp, hatte Kopfschmerzen, und dann eine schlechte Nacht mit Fieber und wenig Schlaf. Da konnten wir nicht fahren, sieben Stunden Autofahrt wären einfach zu viel für ihn gewesen. Am nächsten Tag ging es ihm besser, dafür fing das gleiche bei meiner Tochter an...

Aber ich wollte diesen Brief noch aus einem anderen Grund schreiben. Am liebsten hätte ich es euch einmal persönlich gesagt, aber dafür hatten wir keine passende Gelegenheit und auch einfach keine Zeit. Ich hätte euch so gerne erzählt, weshalb ich diese Hilfe zum Wiedereinstieg ins Berufsleben bekommen habe – und was der wesentliche Grund ist, weshalb sich meine Zeit bei euch nicht so positiv entwickelt hat, wie ich es mir erhoffte und gewünscht hatte.

Die Maßnahme habe ich von der Rentenversicherung bekommen nachdem ich eine schwere Krankheit überstanden hatte und um zu testen was ich noch arbeiten kann. Ich hatte Epilepsie und wurde vor zwei Jahren am Gehirn operiert.

Vor vier Jahren wurde bei mir festgestellt, dass ich wahrscheinlich schon seit der Geburt in der linken Gehirnhälfte eine Narbe/Kruste (Läsion) hatte, die epileptische Anfälle auslöste. Diese Anfälle kannte ich schon seit meiner Jugend, nur waren sie so klein und unscheinbar, dass ich sie nicht richtig beschreiben konnte. Ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl. Die Anfälle machten mir nichts aus, ich verlor das Bewusstsein gar nicht, sondern nur die Konzentration, wurde abgelenkt, wollte dass es aufhört... Es dauerte nur ein paar Sekunden/Minuten, schlimmstenfalls hatte ich danach Kopfschmerzen. Doch vor vier Jahren hatte ich einen etwas stärkeren Anfall, dann wurde mein Gehirn untersucht und die Narbe gefunden.

Dann ging die Krankheit erst richtig los. Viele Untersuchungen, Arzttermine, Krankenhausaufenthalte. Ich habe versucht die Anfälle mit verschiedenen Tabletten zu stoppen, unterschiedliche Dosierungen, Kombinationen... Leider ohne Erfolg, zu viele Nebenwirkungen und immer noch Anfälle... Also musste ein Teil des Gehirns entfernen werden. Leider nicht nur ein Teil des linken Schläfenlappens, sondern auch noch der Hippocampus, der für die Gedächtnisfunktionen zuständig ist – und das hat Konsequenzen. Anfälle habe ich keine mehr. Aber nur mit dem Hippocampus auf der rechten Seite ist die Leistung des Gedächtnisses einfach geringer.

Im Prinzip habe ich Glück gehabt, immerhin habe ich meine Erinnerungen behalten und komme mit alltäglichen Sachen gut zurecht. Aber am Anfang hatte ich große Problem mir Details zu merken, konnte nicht mehr lesen, da ich einfach nicht behalten habe, was da stand. Und ich geriet ins Chaos, wenn die Dinge nicht wie gewohnt abliefen und je komplizierter die Abläufe, desto chaotischer wurde es für mich. Manchmal hatte ich sogar Schwierigkeiten beim Kochen, Schlüssel vergessen...

Außerdem kam es bei der Operation zu einem Blutgerinsel im Sprachzentrum, das führte dazu, dass ich erhebliche Sprachproblem hatte (Aphasie). Mir fehlten oft die Worte und ich konnte mich nicht richtig ausdrücken, das führte oft zu Missverständnissen (Kindergarten/ Schule, 17 Uhr/7 Uhr, Bushaltestelle/Bahnhof, heute/morgen) und vor allem war es sehr schwer den Kindern Fragen zu beantworten, Sachen zu erklären...

Im ersten Jahr habe ich sehr intensiv mit Logopädie, Ergotherapie, Neuropsychologie und Reha-Aufenthalten ganz viel wieder aufbauen können. Aber leider nicht alles. Ich habe jetzt einen geringeren Wortschatz und immer noch leichte Wortfindungsstörungen. Das ist ok., denn ich kann die Worte, die mir nicht einfallen, umschreiben, ersetzen, mich anders ausdrücken. Mit meinem Gedächtnis wurde es auch besser. Ich habe wieder angefangen Bücher zu lesen, kann mir Inhalte merken, wieder normal kochen und mit Computern umgehen.

Im zweiten Jahr war ich für den Einstieg ins Berufsleben bereit und habe die Maßnahme genehmigt bekommen. In den ersten vier Monaten habe ich Deutsch, Mathe und ganz viel EDV aufgefrischt, durch intensives Gehirnjogging mein Gedächtnis trainiert und verbessert, und auch durch psychologische und berufliche Beratung überlegt, wie ich mir mein Berufsleben vorstellen könnte. In eure Buchhandlung zu kommen, war mein Traum (schon vor der Operation!) und meine Berater waren zuversichtlich und haben mir gut zugeredet es zu versuchen. Schließlich hatte ich mich im ersten Teil der Maßnahme gut entwickelt. Aber ob ich tatsächlich im wirklichen Berufsleben dazu fähig bin, konnte man mir nicht vorhersagen... Deshalb das Praktikum.

Ich fand der erste Monat bei euch ging ganz gut los. Es hat mir so viel Spaß gemacht und ich bekam auch manchmal positives Feedback von Kunden, wenn ich ein schönes Buch empfehlen konnte – das fühlte sich so gut an. Als Katrin zu mir sagte, ich soll mich für die Stelle bei Euch bewerben, habe ich mich sehr gefreut, dass sie es mir zugetraut hat – und ich war auch zuversichtlich, dass ich es schaffen könnte. Deshalb habe ich den Vertrag für Dezember unterschrieben. Aber mit der Absage kam der Druck durch das Arbeitsamt, der Rentenversicherung und auch die steigende Kundenanzahl. Dann kamen Enttäuschung, Unsicherheit, Probleme... Da bin ich einfach aus der Bahn geraten. Und dann hat sich leider auch gezeigt, dass ich mich nach drei Monaten bei euch immer noch nicht gut genug eingearbeitet hatte, langsam bin, immer noch zu viel Hilfe brauche, Fehler mache... 

Das ist ernüchternd und bitter, da merke ich, dass sich mein Gedächtnis verschlechtert hat, denn vor der Operation war ich anders!

Es tut mir unendlich leid, wie meine Zeit bei Euch gelaufen ist. Es tut mir sehr, sehr leid, dass ich Euch nicht so richtig helfen konnte. Ich habe mir so große Hoffnungen gemacht, mich einzuarbeiten, eine gute Kollegin zu werden... Es ist so eine tolle Arbeit in der Buchhandlung und bei den Kinder- und Jugendbüchern ganz besonders schön. Ihr seid ein tolles Team! Ich vermisse es jetzt schon!

So, jetzt habe ich genug gejammert. Aber das wollte ich einfach los werden, euch sagen wie es bei mir so gekommen ist. Vielleicht könnt ihr mich jetzt ein bisschen besser verstehen...

Ganz liebe Grüße
Eure Maria M.



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