Monday, 12 June 2017

Positives schlechtes Beispiel

Gestern Abend habe ich mit Thea ein sehr interessantes Gespräch geführt. Sie wollte wieder nicht lesen und auch nicht am nächsten Tag zur Schule. Also versuchte ich ihr zu erklären, weshalb es so wichtig ist zu lernen.

Thea: Warum muss man denn so lange in die Schule? Ich will lieber bald was verdienen, damit ich mir selber alles kaufen kann, was ich will.
Ich: Aber je mehr du weißt, desto bessere Jobs kannst du machen, desto mehr Geld kriegst du. Wenn du keine Ausbildung machst, dann wirst du nicht viel verdienen, und du musst ja Miete bezahlen, Kleidung und Essen kaufen. Dann bleibt nicht viel übrig für Spielzeug und Schnickschnack...

Sie schweig und guckte mich nachdenklich an.

Ich: Außerdem solltest du dir auch gut überlegen, was für einen Job du macht. Jobs ohne Ausbildung machen nicht so viel Spaß und sind oft anstrengend. Oder willst du Putzfrau oder Müllmann werden?
Thea: Sind das die einzigen Jobs, die man ohne Ausbildung machen kann?
Ich: Naja, es gibt noch viel mehr. Zum Beispiel im Supermarkt Regale auffüllen oder beim Friseur die geschnittenen Haare auffegen. Meinst du, das würde dir Spaß machen?

Sie schüttelte energisch den Kopf und überlegte weiter.

Thea: Was machst du denn jetzt eigentlich?
Ich: Ich berate Studenten damit sie Geld bekommen und ihr Studium finanzieren können.
Thea: Was ist denn beraten? Was machst du da genau?
Ich: Ich beantworte ihre Fragen, wie sie einen Antrag stellen können, gebe ihnen Blätter - Formulare - die sie ausfüllen müssen und ich nehme die Unterlagen, die sie abgeben, an und sortiere sie für meine Kollegen, die das dann bearbeiten. Dann erst wird entschieden, ob die Studenten Bafög bekommen und wie viel Geld es ist. 
Thea: Und hast du dafür eine Ausbildung gemacht?
Ich: Nein, das nicht.
Thea: Und macht es dir Spaß?
Ich: Ja, es ist ganz lustig. Es kommen so viele unterschiedliche Studenten zu mir, und ich freue mich ihnen helfen zu können, damit sie sich ein Studium leisten können ohne noch nebenher zu arbeiten.

Sie überlegte wieder eine Weile.

Thea: In der Buchhandlung hat es dir bestimmt mehr Spaß gemacht, oder?
Ich: Ja, das war toll.
Thea: Warum hast denn da aufgehört?
Ich: Tja, ich hatte keine Ausbildung als Buchhändlerin. 
Thea: Und warum konntest du denn dort arbeiten?
Ich: Ich hatte versucht mich nach meiner Krankheit durch ein Praktikum einzuarbeiten. Schließlich habe ich ja Literatur studiert und schon in der Buchbranche gearbeitet. Also war das gar nicht weit weg vom Job in der Buchhandlung.
Thea: Und warum konntest du es dann nicht?
Ich: Ich wurde doch am Gehirn operiert, dadurch habe ich vieles verloren, was ich im Studium gelernt hatte. Ich hab einfach viel vergessen.

Sie nickte langsam und sah sie mich sehr lange nachdenklich an.

Thea: Dann will ich doch lieber in die Schule gehen und studieren.
Ich: Ach ja? Das finde ich gut.
Thea: Naja, den ganzen Tag nur irgendwelchen Studenten irgendwelche Blätter geben, ist langweilig. Da mach ich lieber was anderes.
Ich: Tja, da musst du gut überlegen, was du willst und ganz viel lernen, eine Ausbildung machen oder studieren.

Ich war ziemlich überrascht, schließlich hatte ich doch versucht, ihr meinen Job positiv zu erklären. Und ein bisschen getroffen hat es mich schon. Sie scheint doch ziemlich gut durchblickt zu haben, dass der Job, denn ich jetzt mache, sehr einfach ist und recht langweilig. Und sie hat ja auch recht. Mein Job ist eher ein schlechtes Beispiel.

Doch es hat auch was positives. Aber wenn das der Grund ist, weshalb sie viel lernen will, damit sie nicht so einen Job machen muss wie ich, dann sollte ich doch ehrlich sein und ihr sagen, dass ich mir mein Leben anders vorgestellt hatte. Und dass ich jetzt nicht so ganz zufrieden bin.

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