Manchmal habe ich eine richtige Gänsehaut, wenn ich Herrndorf lese. Neulich ist mir erst so richtig bewusst geworden, dass die heiße Phase meiner Erkrankung mitten in der Zeit seiner Krankheit lag.
Wann er erfahren hat, dass er ein Hirntumor (Glioblastom) hat, ist nicht klar. Aber mit seinem Blog hat er am 8. März 2010 angefangen. Ich habe im Oktober 2010 erfahren, dass ich Epilepsie habe, und im Januar 2011 habe ich mit meinem Blog angefangen.
Am 22.Oktober 2012 hat er einen Platz gefunden, wo er gerne sterben möchte. Am 23.Oktober 2012 wurde ich operiert. Am 24. Oktober wurden bei ihm eine Chemo-Kombinationstherapie angewandt. Er schreibt, dass man danach eben noch Zeit zum Essen hat, bevor man dann "in die Horizontale sackt". Ich lag nach der OP auch ein paar Tage in der Horizontalen, unter starkem Schmerzmittel und mit sehr starken Schmerzen. Am 29.Oktober schreibt er über seinen Sprachverlust. In diesen Tagen habe ich auch meinen Sprachverlust bemerkt, und es wurde festgestellt, dass ich Aphasie habe.
Bei ihm ist noch viel mehr Negatives passiert als bei mir. Was er alles erlebt hat! Das ist nicht zu vergleichen mit meiner Krankheit. Die Überlebenschance bei Glioblastom ist sehr gering: 2 Jahre: 9 %, 5 Jahre: 3%. Bei mir ging es nicht ums Überleben, sondern (nur) um die Anfallsfreiheit. Und die Chance nach der OP keine Anfälle mehr zu haben, stand bei 70-80%. Er wurde dreimal operiert. Ich nur einmal. (Aber in einem Foto sieht seine Narbe meiner verblüffend ähnlich - nur an einer anderen Stelle am Kopf.)
Er hatte viel mehr epileptische Anfälle als ich. Bestimmt auch intensivere. Aber er hat sie sehr gut beschrieben, so habe ich meine Anfälle auch manchmal empfunden. "Zwischen innerer Stimme und Epilepsie ist kaum ein Unterschied." Ja, das finde ich auch! "Epilepsie (ist) von Panik gar nicht unterscheidbar". Ja, das ist die Angst, die ich auch jetzt noch manchmal habe. Angst, dass manche Situationen, die ich "Panik-Attacke" nenne, gar keine Panik sind, sondern wirkliche Anfälle - oder zumindest Auren (Vorstufen zum Anfall). Denn so eine Panik-Attacke hatte ich direkt vor meinem letzten Anfall. Das war offensichtlich eine Aura!
Am 26. August 2013 hat er sich mit einem Revolver in den Kopf geschossen. Ein paar Meter neben der Stelle, die er sich am 22. Oktober ausgesucht hat. An diesem Tag habe ich gebloggt. Ich habe über den Unterschied des Umgangs von Mädchen und Jungen mit vollgekackten Unterhosen geschrieben.
Ich hatte das Schlimmste überstanden. Er hat es nicht überstanden - er hat sich erlöst.
Ich kann ihn so gut verstehen. Ich finde es bewundernswert, was er alles ausgehalten hat - und wie lange!
Chapeau!
No comments:
Post a Comment